Selbsterfahrung
„Das Selbsterfahrungskonzept soll uns helfen, unseren Standpunkt zu verändern und kann uns helfen, uns in andere hineinzuversetzen.“
Inhalt
Was bedeutet Selbsterfahrung?
Selbsterfahrung ist eine bewährte Methode, um Empathie zu entwickeln und ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen von Menschen mit Demenz zu gewinnen. Sie ermöglicht es Angehörigen, Pflegekräften, Ärzt*innen und anderen Fachpersonen, sich in die Lage von Menschen mit Demenz zu versetzen und deren Erleben besser nachzuvollziehen. Dabei geht es nicht nur um theoretisches Wissen, sondern um das tatsächliche Erleben von Einschränkungen.
Warum ist Selbsterfahrung wichtig?
- Verbesserung der Empathie: Menschen ohne Demenz können sich oft schwer vorstellen, was Betroffene erleben. Selbsterfahrung ermöglicht es, sich aktiv in die Situation von Demenzpatient*innen hineinzuversetzen.
- Sensibilisierung für Herausforderungen: Pflegekräfte und Angehörige verstehen besser, welche Schwierigkeiten Menschen mit Demenz in der Kommunikation, Orientierung und Entscheidungsfindung haben.
- Verbesserung der Betreuung: Durch das eigene Erleben können Fachkräfte und Angehörige lernen, mit mehr Geduld, Verständnis und gezielten Maßnahmen zu reagieren.
Methoden der Selbsterfahrung
Es gibt verschiedene Ansätze, um Selbsterfahrung gezielt für die Sensibilisierung und Empathieförderung einzusetzen. Hier sind einige Beispiele:
Demenz-Simulatoren
Demenzsimulatoren sind spezielle Geräte oder Anzüge, die typische Einschränkungen von Demenz nachahmen. Dazu gehören:
- Sehstörungen (verschwommene oder verzerrte Sicht)
- Geh- und Bewegungsprobleme (Einschränkungen in der Koordination)
- Eingeschränkte Wahrnehmung und Reaktion (verlangsamte Reaktionen, Unfähigkeit zur schnellen Entscheidungsfindung)
- Veränderte Geräuschkulisse (Hintergrundgeräusche, die das Verständnis erschweren)
Ein bekanntes Beispiel ist die “Virtual Dementia Tour”, ein weltweit genutztes Programm, das mittels spezieller Handschuhe, Brillen und Kopfhörer eine Simulation von Demenz erzeugt.
➡ Effekt: Menschen, die an solchen Simulationen teilnehmen, berichten oft, dass sie erst dadurch wirklich verstanden haben, wie verwirrend und herausfordernd das Leben mit Demenz sein kann.
Rollenspiele und Theaterpädagogik
Theater- und Rollenspielmethoden werden oft in der Pflegeausbildung eingesetzt, um emotionale Reaktionen auf typische Situationen mit Menschen mit Demenz zu trainieren.
Beispielhafte Szenarien:
- Sich in einer unbekannten Umgebung bewegen, ohne Orientierungspunkte
- Mit verzögertem Sprachverständnis an einer Konversation teilnehmen
- Eine Routineaufgabe erledigen, aber immer wieder vergessen, was zu tun ist
➡ Effekt: Pflegekräfte und Angehörige lernen, welche Gefühle Menschen mit Demenz erleben (z. B. Verwirrung, Frustration, Angst) und können dadurch ihre eigene Kommunikation und ihr Verhalten anpassen.
Virtuelle Realität (VR)
Moderne Virtual-Reality-Technologien ermöglichen es, noch realistischere Erfahrungen zu simulieren. Es gibt VR-Programme, die das Fortschreiten von Demenz visuell und auditiv erlebbar machen.
Beispiel: “A Walk Through Dementia”, ein VR-Projekt von Alzheimer’s Research UK, das zeigt, wie sich Demenz auf die alltägliche Wahrnehmung und Orientierung auswirkt.
➡ Effekt: VR ermöglicht es den Teilnehmer:innen, die Welt aus der Perspektive einer Person mit Demenz zu erleben und dadurch ein tiefes Verständnis für deren Bedürfnisse zu entwickeln.
Perspektivübernahme durch Gespräche und Erfahrungsberichte
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Sensibilisierung ist das direkte Gespräch mit Menschen, die eine Demenz haben, sowie mit ihren Angehörigen. Dies geht durch:
- Erfahrungsberichte von Betroffenen (sofern möglich)
- Gespräche mit Pflegekräften und Angehörigen
- Tagebuchberichte oder Video-Interviews
➡ Effekt: Die persönliche Perspektive schafft eine emotionale Verbindung und ermöglicht es Außenstehenden, die emotionalen Herausforderungen von Demenz besser nachzuvollziehen.
Ergebnisse und Nutzen von Selbsterfahrung
Für Pflegekräfte und Ärzt*innen
- Besseres Verständnis für die Bedürfnisse und Ängste von Menschen mit Demenz
- Entwicklung von Geduld und besserer Kommunikation
- Reduzierung von Frustration im Pflegealltag
Für Angehörige
- Mehr Einfühlungsvermögen und Gelassenheit im Umgang mit Menschen mit Demenz
- Höhere Akzeptanz für herausforderndes Verhalten (z. B. Wiederholung von Fragen, Vergesslichkeit)
- Unterstützung bei der eigenen emotionalen Belastung
Für die Gesellschaft
- Abbau von Stigmata gegenüber Demenz
- Förderung von Inklusion und Akzeptanz
- Bessere Schulung von Fachpersonal und Laien
Wissenschaftliche Studien und Literatur
Hier finden Sie einige aktuelle Studien und Fachartikel zum Thema:
“Demenzsensibilität in Akutkrankenhäusern”
- Autor*innen: SK Peters, E Krupp
- Quelle: Z Gerontol Geriat, 2019
- Thema: Wie kann Selbsterfahrung helfen, die Pflege von Menschen mit Demenz in Krankenhäusern zu verbessern?
“Das demenz balance-Modell”
- Autor: N. Lücke
- Quelle: pflegen: Demenz, 2023
- Thema: Wie können Menschen mit Demenz durch Selbsterfahrungsmethoden besser unterstützt werden?
“Virtual Dementia Tour: Erfahrungen aus der Praxis”
- Autor*innen: B. Klee-Reiter
- Quelle: Leidfaden, 2023
- Artikel
- Thema: Wie hilft der Einsatz von Demenzsimulationen in der Ausbildung von Pflegekräften?
“Musiktherapie mit Demenzkranken”
- Autor: A. Müller-Schwartz
- Quelle: Psychotherapie bei Demenzen, 1994
- Springer-Link
- Thema: Wie kann Musiktherapie zur Förderung von Selbsterfahrung und Kommunikation genutzt werden?
Ausgewählte Selbsterfahrungen
Im Folgenden finden Sie eine Auswahl verschiedener Möglichkeiten der Selbsterfahrung in deutscher Sprache. Kontaktieren Sie bitte die Anbieter bezüglich einer Nutzung.
INTenSE
Über das Projekt
Das ERASMUS+ Projekt „Improving demeNtia care Through Self-Experience (INTenSE)“ zielt darauf ab, Fachpersonal im Gesundheits- und Sozialwesen durch Selbstfahrungsmaßnahmen weiterzubilden, um Menschen mit Demenz effektiver zu versorgen. Durch den Einsatz von Technologien und innovativen Lernansätzen, wie virtuellen Demenz Touren und Rollenspielen, ermöglicht InTEnSE ein tieferes Verständnis und Empathie für die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz. Das Projekt soll kritisches Denken und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Technik fördern, um die Qualität der Demenzversorgung zu verbessern.
Das INTEnSE-Projekt setzt auf Selbsterfahrung als Methode, um Fachkräfte im Bereich der Demenzversorgung weiterzubilden. Diese Methode ermöglicht es, sich temporär in die Lage von Menschen mit Demenz zu versetzen, indem ihre Symptome simuliert werden. Das bessere Verständnis für die Herausforderungen und Verhaltensweisen von Demenzbetroffenen kann so die Empathie und die Qualität der Pflege verbessern. Solche Erfahrungen zeigen, wie Demenz Wahrnehmung, Gedächtnis und Kommunikation beeinflusst und helfen dabei, Entscheidungen im Pflegealltag fundierter zu treffen und Vorurteile abzubauen.
Demenz-Simulations-Toolkit
Das Toolkit besteht aus mehreren auf verschiedenen Methoden und Tools basierenden Szenarien, die einen Teil der Lebenserfahrung von Menschen mit Demenz erlebbar machen sollen.
Dafür wird sich an folgenden Symptomen orientiert:
- Sehbeeinträchtigungen
- Hörbeeinträchtigungen
- Motorische Funktionen
- Wahrnehmung
- Gedächtnis
- Emotionen
- Kommunikation
Auch eine Suche nach den Tools ist möglich:
- Filminterventionen
- Hörsimulation
- Rollenspiel
- Sehbeeinträchtigungen
- Simulationshandschuhe
- Virtuelle Realität
Eine Anleitung zur Nutzung der Plattform finden Sie hier.
Auf der Plattform finden Sie viele weitere Ressourcen wie einen Leitfaden zur Moderation, Bewertungsbögen und Durchführungshinweise.
Demenzparkour
Der Demenzparkour von Hands-on Dementia ist ein Demenzsimulator, der entwickelt wurde, um Pflegekräfte, Angehörige und Interessierte für die Herausforderungen von Menschen mit Demenz zu sensibilisieren.
Funktionsweise:
- Das Schulungsmaterial ermöglicht es, 13+ Alltagssituationen aus der Perspektive von Menschen mit Demenz zu erleben.
- Der Simulator stellt dar, wie sich Wahrnehmung, Orientierung und Kommunikation durch Demenz verändern.
- Er wird in der Pflegeausbildung, Angehörigenbetreuung und Sensibilisierungskampagnen eingesetzt.
- Ziel ist es, die Empathie gegenüber Menschen mit Demenz zu fördern, um eine bessere Kommunikation und Betreuung zu ermöglichen.
Mehr Informationen auf der Website.
In Sachsen-Anhalt
Demenz Balance-Modell
Das Demenz Balance-Modell ist eine von Barbara Klee-Reiter entwickelte Methode, die es ermöglicht, die Auswirkungen einer Demenz auf das eigene Leben nachzuempfinden. Durch diese Selbsterfahrung können Teilnehmende ein tieferes Verständnis für die Gefühlswelt und die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz entwickeln.
Ziele des Demenz Balance-Modells:
- Einblick in die Innenwelt der Demenz: Teilnehmende erleben kontrolliert den Verlust eigener Identität und die damit verbundene Kontrolle über das eigene Leben.
- Empathieentwicklung: Durch die Simulation wird das Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse und das Verhalten von Menschen mit Demenz gestärkt.
- Perspektivwechsel: Die Methode fördert das Bewusstsein, dass jeder selbst in eine ähnliche Situation geraten könnte, was zu einer respektvolleren und sensibleren Begegnung mit Betroffenen führt.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass Pflegekräfte und Betreuende durch die Anwendung des Demenz Balance-Modells ein besseres Verständnis für die Herausforderungen von Menschen mit Demenz entwickeln. Dies führt zu einer nachhaltig verbesserten Beziehungsgestaltung und einem empathischeren Umgang im Pflegealltag.
Für diejenigen, die das Modell kennenlernen möchten, bietet Barbara Klee-Reiter sowohl Präsenz- als auch Online-Kurse an. Das digitale Demenz Balance-Modell ermöglicht es, die emotionale Erfahrung des Verlusterlebens einer Demenz auch in Online-Formaten erlebbar zu machen.
Durch die Teilnahme an diesen Selbsterfahrungsübungen können Fachkräfte und Angehörige ihre Empathiefähigkeit stärken und somit die Lebensqualität von Menschen mit Demenz positiv beeinflussen.
Ein Tag mit Demenz
Auch wir als Landeskompetenzzentrum Demenz haben einen kleinen digitalen „Demenzparkour“ zur Selbsterfahrung entwickelt. Die folgende Anwendung führt Sie durch ein paar alltägliche Aufgaben, die jedoch bewusst kaum lösbar gestaltet sind. Dies soll verdeutlichen, wie anstrengend und stressig viele Angelegenheiten für Menschen mit Demenz sein können.
Einen Einstieg in das Thema für die Durchführung in Gruppen finden Sie hier. Geben Sie uns außerdem gerne Rückmeldung. Die Anwendung funktioniert am besten im Vollbildmodus.
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